Stuhflechter

Das Strohstuhlflechten in Heimarbeit
 
Ganz gewiss werden die älteren Bewohner von Roden sich daran erinnern, fand doch das Flechten der Strohstühle vor den Häusern statt. Warum sollte man das Stroh und das Wasser auch im Hause aufbewahren, war doch die eigentliche Werkstatt die Straße. Jedermann konnte zusehen wie die mehr oder weniger flinken Finger der Strohflechterinnen, denn es waren zumeist Frauen, die dünnen Strohseile drehten, um sie dann mit einem goldgelben Weizenstrohblatt zu umwickeln. Dies alles musste recht schnell geschehen, denn die Strohstuhlflechter arbeiteten im Akkord, für die Stuhlfabrik in Fraulautem.
Dazu musste das Stroh nass gehalten werden, damit es nicht brach. Schöne Weizenstrohhalme wurden ausgesucht und aufgeschlitzt und lagen wie goldene Bänder bereit, die Strohseile zu umwickeln. Das Aussuchen, Aufschlitzen und Einweichen wurde von den Kindern besorgt, aber auch sie waren gelegentlich recht früh zum Flechten der Strohsitze herangezogen worden.
Oft saßen die Frauen auf den Plätzen vor den Häusern zusammen. Lieder wurden gesungen, aber auch über dies und jenes gesprochen, und alle freuten sich auf den Freitag. Freitags war Zahltag. Da kam der Mann mit dem Karren, um die fertigen Strohstühle abzuholen, um den Lohn dafür zu bezahlen. Manchmal sahen die Frauen recht bestürzt auf den Mann mit der Karre, wenn er einige Strohstühle zurückbrachte, die offenbar einen Fehler hatten und so nicht von der Fabrik angenommen worden sind.
Heute würde sich einer gewiss wundern, wie viel Stühle dieser Mann mit seiner Karre hat transportieren können. Dazu war die Karre mit langen Stangen versehen, in die die Stühle mit der Lehne aufgehängt worden sind. Die Stuhl-Rohlinge waren zuvor gebeizt, aber noch nicht gelackt. Wenn man bedenkt, daß ein solcher strohgeflochtener Stuhl damals als der Stuhl der armen Leute galt, und genau diese Meinung schließlich zur Einstellung dieser „Heimarbeit“ geführt hat, so wissen wir es heute besser. In Frankreich werden wir sie recht teuer bezahlen müssen, wenn wir wieder auf einem recht gesunden und warmen Strohsitz sitzen wollten. So war es auch in Mode gekommen, die Stuhlsitze aus Peddigrohr zu flechten, einer spanischen Rohrart, die es hier nicht gab und der Preis dafür den Flechtern von ihrem Arbeitslohn einbehalten worden ist.
Das Strohstuhlflechten war wohl eine Domäne des „Oberdorfes“; denn, so bestätigten es mir die älteren Mitbürger, es fand überwiegend in der Winterstraße, Neu- und Altstraße und in der Mühlenstraße statt. Wie wir auf dem Bild „Strohflechterinnen in der Winterstraße“ sehen können, ging es dabei doch recht lustig zu, und die Arbeit war keineswegs nur „Ausbeutung durch das Kapital“, sondern jeder konnte es so einrichten wie er wollte, konnte viel oder wenig arbeiten und das Lachen bei der Arbeit kam auch nicht zu kurz.
Nach dem Jahre 1925 flaute es mehr und mehr ab mit dem Strohstuhlflechten. Immer weniger sah man die vorwiegend älteren Frauen bei dieser Arbeit, bis es eines Tages hieß: Strohstühle, die gibt es nicht mehr, und es kamen die Buchenholzstühle mit heißgepreßten glatten oder mit Ornamenten versehenen Sitze in Mode, worauf dann Kissen zu legen waren. Um es einmal witzig zu sagen, seitdem es keine Strohstühle mehr gibt, müssen wir mit den vielen Kissen leben, die es heute in unseren Wohnung gibt.