Onner de lang Baem

Pappeln weisen den Weg nach Saarlouis
 
Vor der Saarverlegung und dem Bau der Verbindungsstraße über die Gustav Heinemann Brücke gab es zwischen der Gerberstraße in Roden und der Holtzendorffer Straße in Saarlouis eine Wegestrecke durch die Fliesen, die in der Dorfsprache nur „Onner de lang Baem“ hieß. Diese Bezeichnung verdankte die Straße den Bäumen, die vermutlich lange vor 1900 entlang des Straßenrandes gepflanzt worden sind. Wenn die nahe gelegene Saar Hochwasser führte, waren die Fliesen häufig überschwemmt. Die Bäume markierten dann bei Niedrigwasser den Straßenverlauf als Furt  vom Fuße der früheren Flutbrücke an der Rodener Schanz bis zum Friedensweg am Stadtgarten.
Es waren Pappeln von beachtlichen Höhen, die dem Straßenzug den Charakter einer Allee verliehen. Dicht nebeneinander standen die majestätischen Bäume am Wegesrand. Die dicke Rinde und der mächtige Stammumfang wiesen auf ein hohes Alter der Bäume hin. Obschon bei einigen durch Blitz- und durch Granateneinschläge im Zweiten Weltkrieg die Spitzen fehlten, hatten sie nichts von ihrer Größe und Würde verloren. Trotzig hielten sie sich mit ihren riesigen Wurzeln, die durch die ständig wiederkehrenden Überschwemmungen fast freigelegt waren, im Erdreich fest.
An schönen Sommertagen, wenn leichter Wind durch die silbrig glänzenden Blätter der Pappeln wehte, war es unter den Bäumen ein herrlicher Spaziergang auf dem Weg in und aus der Stadt. Dagegen konnte im Herbst und im Winter, wenn Nebel von der Saar aufstieg und durch die Fliesen zog, der Gang in und aus der Stadt auch unheimlich sein. Die hohen Bäume mit ihren kahlen Ästen, die wie Geisterhände in Himmel den ragten, wirkten dann fast bedrohlich. Und wenn den Heimkehrer auch noch die Krähen, die in den Wipfeln saßen, mit ihrem Gekrächze begleiteten, war manch ängstliches Gemüt froh, wenn die ersten Häuser auf der Schanz oder am Stadtgarten wieder auftauchten.
Vieles haben die knorrigen Riesen im Laufe der Zeit gesehen. Als Zeitzeugen könnten sie heute erzählen, wie anfangs die Bauern mit Fuhrwerken und Handkarren ihre Erzeugnisse zum Markt fuhren und wie an Festtagen die Jungbauern mit ihren Pferdekutschen den Weg in die Stadt suchten. Wie sie später die ersten Automobile und die Elektrisch durch die Fliesen begrüßten und im Krieg die Panzer vorbeifahren sahen. Wie sie den Berufstätigen auf dem Weg zur Arbeit und den Schüler auf dem Weg zur Schule begleiteten. Den fröhlichen Zecher auf dem Heimweg ebenso, wie das junge Paar auf dem Weg in den Stadtgarten.
Die alte Straße mit ihren hohen Bäumen gibt es nicht mehr. Steht man heute auf der Rodener Schanz, so deutet nichts mehr auf die historische Wegestrecke hin und nur wenige werden sich noch an die Straße „Onner de lang Baem” erinnern.